Geschichte: Die verlorene Holzkugel
Was für ein herrlicher Spätsommertag – Familie Murmeltier spielt draussen in der Sonne. Murmeltier Luzzi und seine Schwester Lulu haben einen runden Stein gefunden. Sie lassen den Stein immer wieder den Hügel herunterrollen: Was für ein Spass! «Weisst du, Lulu, ich kenne einen Kinderwanderweg, da kann man so richtige Kugeln rollen lassen!» Lulu macht grosse Augen. «Ach ja? Und wo ist dieser Weg? Nimmst du mich mit? Bitte!!» Luzzi denkt nach – er würde seine Schwester sehr gerne mitnehmen, doch hat er seine Bedenken. Lulu ist ein kleiner Wirbelwind und man darf sie keine Sekunde aus den Augen lassen. Aber es wäre schön, einmal eine Begleitung zu haben. Luzzi fragt seine Mama, welche einverstanden ist. «Aber pass gut auf deine Schwester auf!», ermahnt ihn seine Mutter.
Am nächsten Morgen stehen die zwei jungen Murmeltiere früh auf: Der Weg ins Verzascatal ist weit. Als die beiden im Tal angekommen sind, bestaunen sie die Wälder und Berge, welche an eine Urzeitwelt erinnern. Luzzi führt Lulu zum Ausgangspunkt in Ganne, wo ihre Wanderung beginnen soll. Sie laufen alles hinunter, immer entlang des klaren Verzasca Flusses, welcher sich durchs Tal schlängelt. Da treffen sie auf die erste Kugelbahn. Vor der Kugelbahn stehen einige Kinder und lassen ihre Kugeln die ausgefallenen Holzbahnen herunterrollen. Luzzi und Lulu schauen fasziniert zu, wie die Kugel immer schneller wird, in den Felsen verschwindet, dann gleich wieder hervorschiesst, und am Ende im Ziel landet. Was für ein Spass! Sie gehen weiter und kommen an den unterschiedlichsten Kugelbahnen vorbei. Bei einer Kugelbahn treibt die Kugel sogar durch eine Wasserbahn und landet schlussendlich im kühlen Nass.
Plötzlich hören sie, wie ein Kind fürchterlich weint. «Meine Kugel ist verschwunden, ich kann meine Kugel nicht mehr finden!», wimmert das kleine Mädchen. Eine Gruppe von Kindern hat sich schon auf die Suche gemacht, aber die Kugel ist nicht zu finden! Luzzi und Lulu beschliessen, dem Mädchen zu helfen. Sie suchen überall, hinter jedem Felsen, im Wasser, unter den Bäumen, im Gebüsch – aber auch sie finden die Kugel nicht. «Hast du schon hinter diesem Felsen geschaut?», fragt Lulu ihren Bruder und zeigt auf einen riesigen Felsbrocken. Luzzi macht sich sofort auf dem Weg und verschwindet hinter dem Felsen. Als er wieder nach vorne kommt, ist seine Schwester verschwunden. «Lulu, wo bist du?», ruft Luzzi erschrocken. Doch von Lulu fehlt jede Spur. Jetzt sucht Luzzi nicht nur die Kugel, sondern auch seine Schwester. Was würde seine Mama sagen, wenn sie das wüsste! Luzzi darf es sich gar nicht vorstellen. Wie bei der Kugel schaut er überall nach und ruft unaufhörlich nach Lulu. Plötzlich sieht er einen kleinen Marienkäfer auf einem Blatt sitzen. Dieser schaut Luzzi gelangweilt an und flattert mit seinen Flügelchen. «Hast du etwa meine Schwester gesehen, ein kleines Murmeltier?», fragt Luzzi den Käfer hoffnungsvoll. «Ich bin ein Glückskäfer und ich verschenke etwas Glück! Also ja, ich habe das kleine Murmeltier gesehen. Sie ist einem schwarzen Hund gefolgt und lief schnell den Weg hinunter. Beeile dich!», sagte der Glückskäfer. Luzzi bedankt sich beim Marienkäfer und rennt, so schnell wie er kann, den Weg hinunter. An einem grossen Baum macht er Pause und schnappt nach Luft – immer noch keine Spur von Lulu. Luzzi macht sich wirklich Sorgen um seine Schwester. Da hört er ein Geräusch, das vom höchsten Ast des Baumes kommt. Luzzi schaut empor und sieht ein Eichhörnchen, das dort sitzt und ihn anschaut. «Wem jagst denn du hinterher?», fragt es belustigt. Luzzi erzählt ihm die Geschichte von der Kugel und von Lulu. «Da hast du Glück, dass du mich getroffen hast!», erwidert das Eichhörnchen, «Von hier oben habe ich einen Rundblick aufs Tal.» «Siehst du meine Schwester Lulu von da oben?», fragt Luzzi aufgeregt. Das Eichhörnchen späht über die Bäume und übers Tal. Luzzi wartet lange auf eine Antwort und gibt die Hoffnung schon auf. «Warte! Da hinten sehe ich etwas – sieht aus wie ein kleines Murmeltier. Es steht vor einer Höhle und weint.» Luzzi lässt sich vom Eichhörnchen den Weg zeigen und schon bald hört er das Weinen seiner kleinen Schwester. Er sieht sie vor einer Höhle stehen. Luzzi rennt zu ihr hin und nimmt sie ganz fest in die Arme. «Lulu, bin ich froh, habe ich dich gefunden! Warum bist du weggelaufen? Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.» Da erzählt Lulu, was passiert ist: Als Luzzi hinter dem Felsen verschwunden war, um nach der Kugel zu sehen, sah sie einen Hund vorbeilaufen. In dessen Maul steckte eine Holzkugel. Lulu war sich sicher, dass es sich um die Holzkugel des Mädchens handeln musste. Sie folgte dem Hund bis vor diesen Höhleneingang. Der Hund verschwand in der Höhe und kam ohne Kugel wieder heraus.
«Aber das ist ja super, Lulu, dann muss die Kugel in der Höhle sein. Lass uns rein gehen und die Kugel holen», sagt Luzzi fröhlich. «Das geht nicht», erwidert Lulu, «Die Höhle wird bewacht von einer riesigen Spinne und ich habe doch solche Angst vor Spinnen!» Da sieht Luzzi ein grosses Spinnennetz vor dem Eingang der Höhle und darauf sitzt eine schwarze, fette Spinne. Die Spinne schaut Luzzi und Lulu gespannt an. Luzzi spricht die Spinne an und bittet sie darum, ihn in die Höhle zu lassen. «Nein, an mir kommt niemand vorbei – das ist meine Höhle!», sagt die Spinne ernst. «Aber wir wollen uns doch nur die Kugel holen und verschwinden dann gleich wieder», versucht es Luzzi nochmals. Aber die Spinne bleibt hartnäckig. Luzzi und Lulu ziehen sich zurück und hecken gemeinsam einen Plan aus. Dazu benötigt Luzzi nochmals die Hilfe des Glückskäfers. Dieser ist sofort dabei. Seine Aufgabe ist es, um das Netz der Spinne zu fliegen und deren Blicke auf sich zu ziehen. Die Spinne wittert eine grossartige Beute und hat nur noch Augen für den fliegenden Käfer. In diesem Moment schleicht sich Luzzi in die Höhle und holt sich die Kugel. Schnell ist er wieder draussen. Als der Marienkäfer Luzzi sieht, macht er sich auf und davon. Die Spinne hat von der ganzen Aktion nichts bemerkt.
Lulu, Luzzi und der Glückskäfer jubeln vor Freude und machen sich auf den Weg zum Mädchen, welches ihre Kugel vermisst. Sie schupsen die Kugel vor die Füsse des Mädchens. Dieses schaut hinab auf den Boden und kann es kaum glauben – da liegt tatsächlich ihre vermisste Holzkugel! Das Mädchen ist überglücklich und macht sich auf den Weg zur nächsten Kugelbahn. Luzzi und Lulu spazieren noch eine Weile dem Mädchen hinterher und schauen zu, wie die Kugel durch die Bahnen rollt. Dann ist es Zeit, nach Hause zu gehen. Sie verabschieden sich beim Marienkäfer und verlassen das Verzascatal. Zu Hause werden sie schon freudig erwartet und alle hören aufmerksam zu, als Luzzi und Lulu von ihrem gemeinsamen Abenteuer erzählen. Dass Lulu vermisst wurde, bleibt jedoch ein Geheimnis zwischen den beiden Geschwistern.